Eleven VR: Geht Tischtennis auch online?

Corona-Tischtennis!

Das auch die Profikicker vom FC Bayern nach dem Training Fifa auf der Playstation zocken, das ist jedem Nachwuchsfußballer klar. Genauso klar ist: der Herr Lewandowski sitzt dabei bequem auf dem Sofa. Anders sieht es im Tischtennissport aus: mit der neuesten Generation von kabellosen VR-Brillen ist der Sporterlebnis sehr nah dran am „echten“ Tischtennis. Als passionierter Amateur im Tischtennis (bester QTTR: 1620, üblicherweise zwischen 1540 und 1580) habe ich den Selbstversuch gewagt, um von diesem Teil der Digitalisierung im Sport zu berichten:

Eleven VR Tabletennis ist eine plattformübergreifende Software, die es ermöglicht, über Oculus Rift, Rift-S, Quest (2), HTC Vive, Valve Index and PiMax Sport zu treiben. Sie wird über Steam und den Oculus Store vertrieben. Während die kabelgebundenen VR-Brillen Einschränkungen bei der Bewegungsfreiheit mit sich bringen, ermöglichen die Oculus Produkte volle Bewegungsfreiheit.

Ich berichte von meinen Erfahrungen mit der „Oculus Quest 2“: Hier wird anfänglich in den eigenen 4 Wänden ein Bewegungsraum eingerichtet, in dem man sich frei bewegen kann. 3m Breite sind Minimum um auch Bälle seitlich des Tischs zu erreichen, eine Tiefe von 3m ist für das Spiel am Tisch mit Tendenzen zur Halbdistanz gut, wer mehr Platz hat – umso besser. Nähert man sich im Spiel den Grenzen dieses Bewegungsraums, so wird ein Gitter eingeblendet. Das alles funktioniert mit der Software intuitiv und unproblematisch.

Training mit der Ballmaschine

Nach dem Start der App wird die Schlaghand abgefragt und wenige Momente später steht man wahlweise in einem Loft, einer Sporthalle oder einem sehr fein gestalteten Apartment direkt vor einem Tischtennistisch. Nicht ganz Originalgröße, etwas schmaler scheint er zu sein, was aber nur auffällt, wenn man sehr genau schaut. Also einfach loslegen, und das klappt auch ganz ordentlich: standardmäßig sind dünne Beläge mit viel Kontrolle aufgeklebt, dies lässt sich aber schnell den eigenen Bedürfnissen anpassen (Tempo, Effet, Katapult). Selbst „Anti“ lässt sich konfigurieren, nur die langen Noppen bleiben der Simulation fern (was ich persönlich schade finde, nach einer extrem schmachvollen Niederlage im Finale der C-Bezirksmeisterschaften von Bremerhaven im Jahre 2006 hatte ich es mir zur Aufgabe gemacht, diesen Belagstyp zu knacken und tatsächlich, habe ich danach nur noch sehr selten gegen „Noppenspieler“ verloren).

Im Singelplayermodus gibt es Computergegner (wobei „Weltklasse“ eher in der Kreisliga spielt und „Legendär“ sich auch nicht deutlich abhebt), die aber sehr unnatürlich spielen und nur wenig Tischtennisfeeling aufkommen lassen. Ballmaschine, Aufschlagtraining und ein paar Minispielchen ergänzen das Offlineangebot.

Im Multiplayer darf der geneigte Sportler gegen Seinesgleichen antreten. Obwohl man vom Gegner nur Kopfhaltung und Hände sieht, lässt sich darüber viel der Körpersprache lesen. Jeder kann für sich bestimmen, ob das Mikrofon im Spiel eingeschaltet bleibt, oft ergeben sich kleine Unterhaltungen über das Spiel, VR oder Tischtennis allgemein. Über die Zeit wird jedem Spieler eine Spielstärke (ELO) zugeordnet, zusammen mit der Pinganzeige lässt sich so fast immer ein angemessener Gegner finden.

Onlinematch in Eleven VR

Fühlt sich Eleven Tabletennis VR an wie echtes Tischtennis?

Kurzgesagt: es fehlt nicht viel. Die Rückmeldung über den Schläger ist schwach, man spürt zwar über eine Vibration das Treffen des Balls, aber für den Ballaufschlagpunkt reicht das nicht. Das Hochwerfen des Balls beim Aufschlag ist ebenfalls sehr ungewohnt, dennoch gewöhnt man sich auch daran. Das Flugverhalten der Bälle ist sehr realistisch, inklusive Netzroller, Kantenbälle und Absprungverhalten mit Schnitt. Wobei gerade das Anschneiden von Bällen in der Simulation sehr mächtig ist – fortgeschritten TT-Simspieler kreieren hier Varianten, die „in echt“ eher selten und wenig effektiv sind, in VR aber große Probleme für den Rückschläger bereiten.

Anfänglich hatte ich Probleme mit der Schlägerhaltung, diese lässt sich aber im Programm mit etwas Geduld und Ausprobieren anpassen. Oder man kauft noch einen „Adapter“, mit dem der Controller an einem Schlägergriff fixiert wird, so dass man einen echten TT-Schlägergriff in der Hand hat. Dies hilft besonders, wenn man die Griffhaltung bei Aufschlägen variiert.

Probleme gibt es gelegentlich mit dem Tracking = Erfassen der Schlaghand bei sehr schnellen Bewegungen – Schmetterschläge gehen nur mit „halber Kraft“, oft ist es effektiver, den Ball weiter fallen zu lassen und einen harten Topspin zu spielen – für den man sich auch etwas seitlich stellen muss, damit der Schläger besser erfasst wird.

Spin gewinnt an Bedeutung, sehr schnelles Spiel bringt die Simulation an ihre Grenzen. Allerdings wird die App ständig weiter entwickelt, es kursieren Gerüchte, dass mit der nächsten Programmfassung das Schlägertracking deutlich verbessert wird (Stand 16.12.2020).

Macht es Spaß oder ist es Sport?

JA! Vom Gartenpingpong bis zum ambitionierten Amateur sind alle Spielklassen vertreten. Auch im Newsletter des DTTB wurde das Programm bereits besprochen und „zum Aufwärmen“ empfohlen. Natürlich kann man selbst entscheiden, mit wie viel Einsatz man spielen möchte, mich persönlich bringt das virtuelle Tischtennis genau so zum Schwitzen wie der Hallensport in natura.

Hat das Konzept Zukunft?

Ein klares „ja, das hat Zukunft“!
So wie es jetzt ist, spielt es sich bereits super. Davon ausgehend, dass weiter an Details gearbeitet wird, kann ich mir gut vorstellen, dass sich zusätzlich zu Freizeit- und Vereinstischtennis auch VR-Tischtennis als Sport etablieren wird. Natürlich hängt das auch von Preis und Verfügbarkeit von VR-Brillen ab, allerdings ist diese Technologie derart beeindruckend, dass es aus meiner Sicht nur eine Frage der Zeit ist, bis VR-Brillen selbstverständlich werden. Virtuelles Tischtennis passt in den Trend immer flexiblerer , selbstbestimmter Sportzeiten mit selbst bestimmbarem Leistungsdruck. Auch jenseits kontaktarmer Pandemiezeiten zählen diese Attribute.

Was wünsche ich mir?

Einen Schwingfußboden! Hallenschuhe auf hartem Parkett sind keine gute Mischung. Aber im Ernst: den Spin des Gegners richtig zu lesen ist in VR noch schwieriger als im „echten“ Sport, wenn sich das etwas entzerrte, das wäre fein. Und schnelle Ballwechsel nah am Tisch, da ist die Balldarstellung nicht perfekt, ob das der Bildwiederholrate der VR-Brille geschuldet ist, oder dem Ping des Gegners – keine Ahnung.

Ich werde sicherlich weiterhin online Tischtennis spielen! Neben Eleven VR gibt es noch Racket Fury als weitere Tischtennis-Sim, ebenfalls interessant sein kann Racket NX, welches eher in Richtung Squash geht und mehr spielerische Elemente enthält.

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